Hi, ich heisse Robin, aber ich bin Jamie. Aber nur Joey und Kevin dürfen mich Jamie nennen, du nicht, sorry. Jamie ist mein Seelenname, und eigentlich dürftest du den gar nicht wissen.
Ich habe mich mit zwölf dafür entschieden, nicht erwachsen zu werden, weil ich der glücklichste Junge der Welt bin und daran nichts ändern will. Ausserdem habe ich den besten Dad der Welt, und er braucht mich, damit er auch glücklich sein kann, auch deswegen will ich sein kleiner Junge bleiben.
Ich habe wahnsinnig viele Gefühle. Das ist toll und macht das Leben viel interessanter. Aber manchmal ist das auch ganz schön anstrengend, vorallem wenn sich mein Verstand einmischen will und ich ihm sagen muss, er soll die Schnauze halten, weil der Kopf versteht nichts von Gefühlen. Aber ich bin nicht dumm oder so, mein Dad sagt, ich hätte nicht nur zu viele Gefühlen, ich würde manchmal auch zuviel denken.
Ich bin sowieso nicht ganz normal, das werdet ihr schon noch merken, nicht nur, weil ich ein Kind bleiben will oder weil ich fast immer mit nackten Füssen rumlaufe. Das mit dem barfuss hat allerdings einen ganz bestimmten Grund, einen schrecklich-tragisch-schönen Grund, aber den verrate ich euch hier nicht. Warum ich Angst vor Autos habe, weiss ich auch. Ich habe aber auch Todesangst vor Toiletten. Als wir endlich den Grund dafür herausgefunden hatten, ich sag euch, das war nicht lustig, und hat an der Angst nichts geändert.
Ich gehe jeden Morgen früh hinaus in die Natur und tanke neue Energie aus dem Universum durch alle meine äusseren und inneren Sinne. Das ist der einzige Moment des Tages, wo ich eine halbe Stunde oder noch länger fast bewegungslos aushalte. Nein, stimmt nicht ganz, in Dads Armen oder auf seinem Schoss kann ich mich sehr lange stillhalten, weils so schön ist.
Die meisten Leute und Kinder mögen mich, weil ich so klein und anhänglich und meistens anständig bin. Nur wenn jemand junger Mann oder so einen Blödsinn zu mir sagt, dann bin ich nicht mehr anständig. Dafür verteile ich Sympathiepunkte, wenn mich Leute Kleiner nennen. Ich bin nämlich kein Mann. Ich bin ein Junge und ich bin stolz darauf und ich habe ein Spielzeug in der Hose und darauf bin ich auch stolz. Und dass ich nicht normal bin, darauf bin ich auch stolz. Normal ist langweilig.
Mein Dad sagt, ich sei ein Schmusetierchen, weil ich es gern habe, wenn ich angefasst werde, und weil ich zu ihm ins Bett krieche oder mich von ihm herumtragen oder mich streicheln lasse. Ich mag es auch, wenn ich manchmal in der Schule oder im Sportunterricht hinfalle. Dann bleibe ich liegen, bis mich jemand aufhebt. Meine Kameraden haben mein Spiel längst durchschaut, aber sie helfen mir trotzdem, weil sie mich mögen und ich mag sie alle auch.
Dass ich nicht mehr ausgelacht werde, also nicht nur wegen dem Hinfallen, auch wegen allem anderen, was an mir nicht normal ist, zum Beispiel dass mir immer die Tränen kommen, darum kümmert sich Kevin. Er hilft mir auch, damit niemand merkt, dass ich panische Angst vor Toiletten habe. Er droht den andern nicht oder haut sie zusammen oder so, er liebt mich einfach so, wie ich bin. Und er ist selber beliebt, weil er hübsch und klug und schlagfertig und lustig ist. Er ist wie ein Bruder zu mir, ohne ihn würde ich mich vermutlich dauernd in meinen Fantasien verlaufen und nicht mehr zurück finden.
Meine Mama ist tot. Aber darüber will ich nicht reden, weil es sonst wieder so verdammt weh tut. Nur am Geburstag, wenn sie mich besuchen kommt, dann tut es nicht weh.
Ich muss oft weinen, eigentlich fast jeden Tag. Das ist wegen der vielen Gefühle. Normale Kinder weinen, wenn sie traurig sind oder sich heftig wehgetan haben, ich auch. Aber ich weine auch, wenn ich Freude habe. Es reicht schon, wenn Dad mich von der Schule abholt und ich mich freue, ihn zu sehen, oder wenn der Lehrer mich vor der ganzen Klasse lobt. Oder wenn der Sportlehrer, dieses Arschloch, seine dauernd schlechte Laune wieder mal an mir auslässt. Wenn ich keine Tränen hätte, mit denen ich meine Gefühle hinausspülen könnte, würde ich vermutlich platzen oder in den Gefühlen ersticken.
Über meine Beziehung mit Joey kann ich hier nicht erzählen, weil, dann kann ich nicht mehr aufhören. Joey ist ... er ist ... nicht wie ich, aber ... dennoch wie ich ... Joey ist ... ein Teil von mir ... vielleicht sowas wie meine Seele. Ihr versteht das nicht, keiner versteht das, nicht mal wir selber. Ich weiss nur, dass ich ohne Joey nicht mehr leben kann. Das hat im Fall nichts damit zu tun, dass wir uns wahnsinnig gern haben. Ja, richtig, wir lieben uns. Aber schwul sind wir übrigens nicht und knutschen tun wir auch nicht, nur damit das mal gesagt ist.
Und jetzt lasst mich in Ruhe, weil ich fühle mich gerade wieder wahnsinning glücklich und muss ein bisschen heulen und brauche jemanden, den ich umarmen kann. Am besten Dad oder Joey, Kevin nicht, der mag das nicht so besonders. Manchmal umarme ich mich selbst oder mein Spiegelbild, das tut auch gut.
Oder dürfte ich vielleicht bei dir ein bisschen kuscheln? Vielleicht magst du das ja auch und willst es nur nicht zugeben. Kein Angst, ich verrate es niemandem, wenn wir zwei uns ein bisschen liebhaben.